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Eine Taxifahrt

(aus "Der Fall des Lemming")

 

„Hopp hopp, wirf an dei’ Rostschüssel, foahr ma!“

Krotznig steigt ächzend in den Fond des Taxis, spuckt ein letztes Mal aufs Trottoir hinaus, zieht dann kraftvoll die Türe zu. Sie schließt nicht.

„Scheißkübel elendicher!“

Leise vibrieren Krotznigs frischgetrimmte Schnurrbartspitzen. Er beugt sich zur Seite, ein drohendes Brummen auf den Lippen, und fährt prüfend mit den Fingern den Türrahmen entlang. Dann, endlich, spürt er den Widerstand, den Widerstand seines eigenen Mantels, der sich im Spalt zwischen Türe und Rahmen verfangen hat. Schlichtweg eingeklemmt, Krotznigs Stutzer, Krotznigs Stolz, sein langer, brauner Ledermantel.

„Hurrns...!“

Während der fluchende Krotznig auf dem Rücksitz die Tür wieder aufstößt, um seine Kleidung ins Trockene zu bringen, nimmt der Lemming vorne Platz, auf dem Beifahrersitz, rechts neben dem Chauffeur.

Draußen schwirrt der Schnee im Licht der Laternen, wirbelt in dichten Flocken durch die Straßen und legt sich auf den den aschgrauen Matsch der vergangenen Tage.

Die Stadt ist wieder weiß.

Der Taxifahrer wird immer schwarz bleiben.

Es ist nur eine Frage von Sekunden, bis Krotznigs Blick in den Rückspiegel fallen, bis Krotznig es bemerken wird. Krotznig hat schon immer einen Hang zum Ungemütlichen gehabt. Aber er treibt diese Eigenschaft zu höchster Vollendung, wenn es um exotische Hautfarben geht. Der Lemming weiß das, er kennt seines Kollegen Abneigung gegen alles Unvertraute. Und so beeilt er sich, dem Afrikaner in gleichsam vorauseilend begütigendem Tonfall zuzuraunen:

„Bringen’S uns in die Berggasse, bitte. Lokal ‚Augenschein’.“

Der Fahrer nickt, lässt den Motor an und greift zur Taxiuhr, um das Zählwerk einzuschalten.

„Finger weg ...“

Ruhig, ganz ruhig hat Krotznig das gesagt. Regungslos sitzt er hinten im Dunkel, und der Lemming kann spüren, dass Krotznig jetzt in den Rückspiegel starrt, dass er die erstaunten Augen des Afrikaners darin mustert.

„Mir foahrn heit ohne Taxameter ...“

„Aber ... ich verstehe nicht ...“

Die Stimme des Schwarzen ist leise. Er wendet nicht den Kopf, vermeidet instinktiv direkten Blickkontakt mit dem Mann auf dem Rücksitz.

„Do gibt’s nix zum Vastehn. Der Wogn is konfisziert.“

Nun kommt Bewegung in Kriminaloberleutnant Adolf Krotznig. Man kann das Knarren seines Mantels hören, als er sich langsam vorbeugt, um seinen Mund ganz nahe an das Ohr des Fahrers zu bringen:

„Polizei“, raunt Krotznig, samtweich.

Der Lemming hält den Kopf gesenkt, starrt auf die abgewetzten Spitzen seiner Schuhe. Nun fährt seine Hand in die Jacke, hastig, wie um das Schlimmste verhindern zu wollen, und nestelt eine Brieftasche hervor.

„Es stimmt“, murmelt der Lemming, bevor der Schwarze etwas sagen kann, und hält ihm seine Dienstmarke hin.

„Es stimmt.“

Langsam gleitet der Mercedes die menschenleere Landesgerichtsstraße entlang, bremst sich schlingernd einer roten Ampel entgegen. Und nun geschieht, was schon vorher unvermeidlich war: Im selben Moment, da der Wagen zum Stillstand kommt, gerät Krotznig erst richtig in Fahrt.

„Wos is, Bimbo? Glaubst, mir sitzen wegn dera schenan Aussicht do? Du fahren weiter, du Kaffer, sonst ich dir Feuer machen unter deinem kackbraunen Oascherl!“

Der Fahrer starrt geradeaus. Der Schock und die Angst und der Stolz und die Wut, das alles steht ihm ins Gesicht geschrieben, arbeitet, kämpft in ihm, und als er endlich eine Antwort wagt, da zittert seine Stimme:

„Auf Ihre Verantwortung“, sagt der Schwarze.

Krotznig stutzt. Holt Luft, tief und lange. Legt gleichsam eine künstlerische Pause ein, markiert Verblüffung, Verwirrung. Greift in die Innentasche seines Mantels, steckt sich nachdenklich eine Virginier an. Raucht stirnrunzelnd. Wendet sich dann plötzlich mit hochgezogenen Augenbrauen dem Lemming zu, und fragt, ein Grinsen auf den Lippen:

„Host des g’heat, Partner? Des Murl red’t z’ruck ...“

Der Lemming ringt mit sich selbst. Zusammenhalt ist oberstes Gebot bei den Kriminesern. Zusammenhalt nach außen jedenfalls, und das heißt: Jeder so genannten vereinsfremden Person gegenüber. Wie ein Mann haben die Beamten zusammenzustehen, unerschütterlich und ehrenhaft im täglichen Kampf gegen Unrecht und Verbrechen. Wer einem Kollegen in der Öffentlichkeit widerspricht, wer Uneinigkeit anklingen lässt, der gefährdet den Gemeinschaftsgeist, der unterminiert das Ansehen der Polizei, die Macht des Gesetzes und damit die Sicherheit des ganzen Landes.

Kaum noch erträgt der Lemming die innere Spannung.

„Geh, lass ihn doch zufrieden ...“, möchte er Krotznig zuflüstern. Aber er kommt nicht mehr dazu.

„Machen Sie bitte die Zigarre aus“, lässt sich die Stimme des Fahrers vernehmen, „das ist ein Nichtrauchertaxi“.

Der Afrikaner hat seinen Entschluss gefasst. Hat sich für die Würde entschieden und gegen die Furcht vor dem lederbemäntelten Zwei-Meter-Polizisten auf dem Rücksitz. Manchmal trifft der Mensch die falschen Entscheidungen. Manchmal erkennt er das bereits nach Bruchteilen von Sekunden. Ein kleiner, kalter Druck im Genick des Schwarzen, ein scharfes, metallisches Klicken genügt. Der Mund des Taxifahrers wird für den Rest der Fahrt versiegelt bleiben. Krotznig wird die Unterhaltung bestreiten, Krotznig ganz alleine.

„Jetzan sog amoi, du Plattnaserl“, tönt Krotznig heiter und bläst eine dicke Rauchwolke nach vorne, dem Schwarzen ins Gesicht, „g’foit’s dir do bei uns? Weiße Frauen gut ficki ficki? Oder host leicht dei Hauskamel zum Pudern mit‘brocht? Hm? Tut es auch eine hübsche kleine Aufenthaltsgenehmigung haben? Na, is jo wurscht, bei de Kamöh san mir ned a so, stimmt’s, Partner? Jo jo, de Negerinnen ... Bein Blosn soin’s jo guad sein, de Bimboweiber mit ihre Wulstlipperln, oba weider unt’n, au weh, vü zu ausg‘leiert. Des kummt von denan großen Kochbananen, mit denan’s immer ... na eh kloar, weil die Herren Bimboschwänze treiben’s vü lieber mit echte Kamöhdamen ...“ Krotznig kichert: „Für ein Kamel geh‘n wir meilenweit, gö, Freinderl? Und wann des Kamöh ned wü, dann foahr’n mir ins schöne Österreich und schnackseln weiße Weiber ...“

Der Druck im Nacken des Fahrers wird stärker. Wieder dieses Klicken in Krotznigs Hand. Und dann noch einmal. Der Afrikaner zuckt zusammen, verreißt das Lenkrad, tritt hart auf die Bremse, verliert die Kontrolle über den Wagen. Schräg schlittert der Mercedes der Währinger Straße entgegen, dreht eine Pirouette unter dem Rotlicht der Ampel und tanzt elegant in die Mitte der Kreuzung. Ein greller Lichtschein streift die weit aufgerissenen Augen des Lemming, zugleich ertönt das ohrenbetäubende Dröhnen eines Nebelhorns, und vor dem Bug des Wagens, keinen halben Meter entfernt, braust wütend etwas Riesiges, Dunkles vorbei, wirbelt Fontänen auf, hüllt das Taxi in eine dichte Wolke glitzernden Pulverschnees.

„So a Wixer“, meint Krotznig fröhlich.

Der Afrikaner zittert am ganzen Leib. Seine Haut hat nun doch einen leichten Grauton angenommen. Stummes Entsetzen im Gesicht, gelingt es ihm, den Wagen zu wenden, und, wie in Trance, die dichtverparkte Berggasse hinabzufahren. Steil geht es jetzt hinunter in den Kessel des neunten Bezirks, in die Rossau, wo sich der Smog sein Nest gebaut hat, wo die Luft immer ein wenig schlechter ist als sonst in Wien, und wo sich dennoch ein Straßencafe ans nächste reiht. Hier lebte und heilte Sigmund Freud, hier steht, monströs und finster, die ‚Liesl’, das Polizeigefangenenhaus mit dem angeschlossenen Hauptkommissariat, hier wohnt schließlich auch der Lemming, keine hundert Meter von den Büros der Mordkommission entfernt und keine fünfzig vom Stammlokal der Krimineser, dem ‚Augenschein’.

Jetzt erst zieht Krotznig wie beiläufig den Arm zurück, jetzt erst erkennt der Lemming den Gegenstand in seiner Hand. Dick und glänzend, ein Kugelschreiber.

„Harley“, gluckst Krotznig, „Schreibt wiar a Anser und klingt wiar a Fünfavierzga. Do steh i drauf ...”.

Dann, endlich, parken sie vor dem ‚Augenschein’.

Krotznig öffnet die Autotüre, beugt sich ein letztes Mal vor und ergreift das rechte Ohr des Taxifahrers. Knetet es zärtlich zwischen seinen manikürten Fingerkuppen:

„Immer brav bleiben, Herr Buschmann, gell? Und bis zum nächsten Mal ...“

Und Oberleutnant Krotznig entschlüpft in die kalte Nacht.

Auch der Lemming steigt aus, zögernd allerdings, dreht sich noch einmal um, als wolle er etwas sagen, besinnt sich eines Besseren, bückt sich stattdessen und legt zwei Hundertschillingscheine auf den Beifahrersitz. Der Schwarze bemerkt es nicht. Er sitzt aufrecht, beide Hände auf dem Lenkrad, und starrt durch Glas und Eis und Finsternis, als könne er in andere Zeiten blicken und weithin zu fernen, warmen Kontinenten.

 

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